Das blaue Kleid
Das blaue Kleid

Das blaue Kleid

Es war einmal ein Mädchen namens Sonia, ein großes Mädchen mit einem sehr schönen blauen Kleid.

Meine erstes blaues Kleid, das meine Schwester Gaby für mich genäht hatte, zu meiner ersten Teilnahme beim Karneval der Kulturen 1997.

Ich fühlte mich darin wie Aschenputtel. Ich liebte dieses Kleid, es war das schönste Kleid für mich.

Meine Schwester konnte mir kein größeres Geschenk machen.

Geld für die schönen, langen Federn, wie die, die von den großen Sambaschulen „Mangueira“ und „Beija Flor“ für ihre aufwendig-opulente Kostümdekoration verwendet werden, hatten wir nicht. Doch das Kleid war und blieb wunderschön.

Dieses Kleid zog mich zurück in meine Kindheit, als ich mit Mais-Puppen spielte, für die meine Schwester [Gaby] kleine Kleider nähte. Ich fragte mich, ob ich eines Tages auch so ein schön Kleid tragen würde.

Pompös war es nicht, doch außergewöhnlich in jeder Beziehung. Ich behandelte es wie ein kostbares Juwel – erst recht nach dem Karneval.

Jahre später, arbeitete ich in der Film-Produktion „Alles Samba“ mit. Ich choreographierte eine Kindergruppe, spielte deren Lehrerin und coachte die Schauspieler.

Am Set im Berliner Sony-Center am Potsdamer Platz sind all meine Sachen, meine Koffer mit den Kleidern, Schminke und viele Utensilien, die ich für die Dreharbeiten benötigte, einfach verschwunden. Spurlos.

Das schöne blaue Kleid war auch darunter. Ich war völlig geknickt. Nie habe ich es vergessen.

Wenige Jahre später gab Achim – ein AMASONIA-Veteran – mir ein Papier mit dem Namen AMASONIA in bunten Buchstaben.

Kurz vor dem Karneval hatte ich noch keine Schuhe. Es war wieder meine Schwester Gaby, die mich am Tag des Umzugs mit einem frisch dekorierten Paar Schuhe überraschte. Der Clou daran, oder besser darauf: sie waren mit den bunten Buchstaben von Achims Signet AMASONIA besetzt.

Das Herz meiner Schwester ist groß und warm. Sie hat es stets verstanden, mir bunte Überraschungen zu machen – tragbar und von hochkünstlerischer Hand gefertigt. Ich bin so dankbar, dass es sie gibt. Schwestern dürfen auch mal sentimental untereinander sein!

Ihr Einfluss auf meine Karneval-Projekte ist stark und fruchtbar. Selbst als sie persönlich nicht anwesend war – in meinem Herzen war sie immer dabei.

1997 wurden 450 Karneval-Kostüme in einem kleinen Raum im Haus meiner Schwester Gaby genäht. Ohne ihre und die Hilfe meiner Familie wäre das alles nicht möglich gewesen.

Eine der größten Zeitungen Brasiliens, das „Jornal do Brasil“, bemerkte in einem Artikel, das die deutschen Karneval-Novizen fast kopfüber in die Kostümkisten abgetaucht waren – Kindern gleich, wenn sie über Geschenke herfallen. Sie wollten sich buchstäblich mit fremden Federn schmücken.

Das blaue Kleid war ja gar nicht geplant, jedenfalls nicht von mir. Trotzdem wurde es noch rechtzeitig fertig genäht. Mit den Jahren wuchs nicht nur die Gruppe AMASONIA – auch das Gewicht meiner Kostüme wuchs beachtlich an und hatte in einem Jahr stolze 45 Kilo auf die Waage gebracht. Ich habe damals nicht nur viel Bewunderung geerntet, sondern auch eine heftige Wunde davongetragen. (Viele der Teilnehmer sind nicht unbedingt stolz auf ihre davongetragenen Wunden, zeigen jedoch ihre Blessuren vom Umzug mit einer gewissen Genugtuung: es hat sich gelohnt und man hat sich der Sache hingegeben.)

Nach dem Karneval bleibt die Erinnerung an die guten Zeiten, die Freude, die wir an die Menschen gegeben haben und die Heilung der Wunden und Schrammen – die Kostüme waren sehr schwer – die nur langsam bis zum nächsten Karneval praktisch geheilt werden. Ich danke der Öffentlichkeit, dam Publikum und allen Teilnehmern, die seit vielen Jahren bei AMASONIA teilnehmen oder teilgenommen haben. Alle, die sich gegenseitig geholfen haben, auch bei den kleinen Dingen. Es ist bereits ziemlich viel bei AMASONIA geschehen. Menschen, die Freunde geworden sind, Hochzeiten, Kindertreffen, neue Liebe oder Bekanntschaften usw., alles ist bei uns in all diesen Jahren bei AMASONIA passiert.. Falls wir bei dem Karneval nicht mehr dabei sein werden, für all dieses, was geschehen ist – eine Sache ist für uns klar: Es hat sich gelohnt. Ich sage einfach vielen Dank für die Gelegenheit, die mir gegeben wurde, Menschen zu verbinden und etwas Fröhlichkeit und positive Energie verteilen zu können. Und etwas zu tun für die Stadt, die ich liebe. Meine Berlin.

Die beste Art und Weise glücklich zu sein, ist die, Andere glücklich zu machen – A maneira de ser Feliz é fazer os outros felízes.